Turing-Galaxis


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Turing-Galaxis bezeichnet eine Welt, die grundlegend vom vernetzten Computer als Leitmedium geprägt ist, analog zu Marshall McLuhans Gutenberg-Galaxis.

Entstehung des Begriffs

Der Begriff der Turing-Galaxis wurde von Wolfgang Coy 1993 in einem Vortrag mit dem Titel „Die Turing-Galaxis. Computer als Medien“ auf der Konferenz Interface II in Hamburg geprägt. Coy schreibt:

„Mehr als einhundert Millionen PCs wurden in den achtziger Jahren gebaut. Sie bilden die Basis einer Medienrevolution, die diesen programmierbaren Maschinen ihre historische Perspektive zuweist. Bewirkt wurde diese Revolution nicht von den Großrechnern der ersten, zweiten und dritten Generation, deren Verwendung auf große Firmen und Verwaltungen beschränkt blieb, sondern von den PCs. … Der PC hat sich zum umfassend einsetzbaren neuen Medium entwickelt, das alle anderen Medien simulieren und ersetzen kann. Wir sind am Anfang eines kulturell subversiven Prozesses, der sich noch viele Jahrzehnte entfalten wird.“

Wolfgang Coy: Computer als Medien. Drei Aufsätze, 1994

Analog zu McLuhans Gutenberg-Galaxis verwendet das Deonym Turing-Galaxis den Namen des Innovators, um die mediengeschichtliche Epoche zu benennen, die seine Innovation prägt. Johannes Gutenberg hat mit seiner Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern eine Dynamik ausgelöst, die sich nach McLuhans Analyse direkt auf Reformation, Aufklärung, moderne Wissenschaft, die bürgerliche Gesellschaft und den Kapitalismus auswirkte.

Vergleichbar grundlegende Veränderungen gehen nach Coys Analyse von der universellen Maschine aus, die der britische Mathematiker Alan Turing 1936 erdachte. Turing wollte die für die Mathematik grundlegende Frage der Berechenbarkeit lösen. Dazu entwarf er in dem Aufsatz On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem<ref>On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem (28. Mai 1936)</ref> eine Gedankenmaschine, heute unter dem Namen Turing-Maschine bekannt, die mit nur drei Grundoperationen in der Lage ist, „jedes vorstellbare mathematische Problem zu lösen, sofern dieses auch durch einen Algorithmus gelöst werden kann“ (Coy 1994).

Die universelle Turingmaschine kann selber prinzipiell nicht gebaut werden, allein schon wegen ihres unendlichen Schreibbandes. Aber die Berechnungsvorschriften dieser Maschine liegt jedem heutigen Computer und damit der Medienepoche, die er prägt, zugrunde.

„Alan M. Turing vollendet das Gutenbergsche System Satz/Druck, indem er die scheinbar periphere Frage: ‚Was ist eine berechenbare Funktion (ein Algorithmus)?‘ beantwortet. will be a principal medium of communication for the educated community of Europe and North America. The philosophy and fiction of the next hundred years will be written at the keyboard of a computer terminal, edited by a program, and printed under electronic control.”

Bolter 1984

Am Anfang des „Turingschen Menschen“ standen, Bolter zufolge, zwei „Manifeste“, die beiden Turing-Aufsätze On Computable Numbers (1937) und Computing Machinery and Intelligence (1950).

“We are all liable to become Turing’s men, if our work with the computer is intimate and prolonged and we come to think and speak in terms suggested by the machine. als Medium und als Metapher (schon etymologisch geht es also um Vermittlung) im Zentrum der aktuellen Medienkunst und ihrer Ästhetik.“ Beim Studium der Theorien zu elektronischen Texten stellt er jedoch mit Verblüffen fest, dass diese ständig Positionen der modernen Avantgarden reformulieren: „Dies gilt nicht nur im Bezug auf dezidiert literarische Texte, sondern auf jegliches Schreiben und Lesen von Hyper- und Cybertexten. Als grundsätzliche Aspekte werden u. a. die Explizierung von Räumlichkeit und Visualität, die Intermedialität, die Konzeption eines aktiven Lesers als zweiter Autor und die Selbstreflexivität im Gebrauch von Hypertexten betont.“ (Block 1997)

Block untersucht die Frage, wie Computermedien das bisherige Spektrum visueller Poesie erweitern. Er stellt fest, dass die wenigen kanonischen Beispiele für Hypertexte, wie Michael Joyces Afternoon, a story (1987), schwerlich an eine so filigrane multilineare Syntax wie etwa in dem häufig als Vorläufer zitierten Finnegans Wake von James Joyce heranreichen. Eine tatsächlich neue Qualität in der Turing-Galaxis erkennt er, ähnlich wie Volker Grassmuck in der Einbeziehung des Körpers. Erste Beispiele dafür sieht er in der digitale Holopoetry von Eduardo Kac und in dem „momentan berühmtesten Medienkunstwerk“, The Legible City (1989–1991) von Jeffrey Shaw und Dirk Groeneveld.

Auch der Kulturinformatiker Martin Warnke hat sich in seiner Arbeit immer wieder mit Turing und der Turing-Galaxis beschäftigt. In dem Aufsatz Das Medium in Turings Maschine (1997) geht er aus von der Beobachtung: „In Turings Maschinen muß mehr stecken als der Rechenautomat.“ Und er fährt fort:

„Er kommt auf das ‚Mehr‘ in seiner Konstruktion bei seiner Suche nach der denkenden Maschine. Dabei wird die Turingsche Gedankenmaschine Contrary to the idea that the role of the author is diminished it is increased: in predicting the interest of users; in overviewing a variety of possible routes; and in developing solutions to the jumps between reading modes and browsing/navigating modes.”

Finnemann 1999

Der Historiker Uwe Dörk schlägt in seinem Aufsatz Von der „Gutenberg-“ zur „Turing-Galaxis“ (ca. 1997) den Bogen zu Turings Test von 1950 (der die Frage: „können Maschinen Denken?“ betraf) zur Sommerakademie in Dartmouth 1956, auf der John McCarthy das Programm der „Artificial Intelligence“ formulierte. Sein Fazit: Wenn Wissenschaft Wissenschaft bleiben, also nicht Cyber-Punk werden will, bleibt sie auf den gutenbergianischen Zugang zu Erkenntnis angewiesen:

„Denkerische Kontemplation, analytisches Reflektieren und die Transformierung in lange Reflexionsketten, die sich freilich nicht mehr auf reine Textualität beschränken müssen, bleiben eine Frage von gesellschaftlicher Diskursmacht.“

Heute sind zentrale Konzepte aus der Debatte der 1990er Jahre, wie Finnemann schon 1999 attestierte, so selbstverständlich geworden, dass ihre Begriffe außer Gebrauch kommen. Zu sagen, dass die Wikipedia ein Hypertext oder Second Life interaktiv ist, hat an Erklärungswert verloren.

Als Epochenbegriff dominiert weiterhin die „Informationsgesellschaft“, ein streng genommen tautologischer Begriff, beruht doch jede Sozialform, die den Übergang von Gemeinschaft zu Gesellschaft vollzogen hat, notwendigerweise auf der medialen Speicherung, Übertragung und Verarbeitung von Information.

Demgegenüber hat der sehr viel gehaltvollere Epochenbegriff Turing-Galaxis zwei wesentliche Vorzüge:

  1. leistet er eine spezifische Rückbindung der heutigen Gesellschaftsform an die Gutenberg-Galaxis, die die Turing-Galaxis zwar nicht ersetzt, aber innerhalb nur einer Generation in eine grundlegend neue Formation überführt.
  2. benennt er die Fundierung der Wissensordnung digitaler Medien auf der universellen Turing-Maschine, die in ihrer eleganten Einfachheit und umfassenden Definition von Berechenbarkeit nicht zu übertreffen ist. Den Möglichkeitsraum, den das universelle Turing-Medium eröffnet, zu erschließen, wird das Programm unseres Zeitalters bleiben.

Kritik

Die von McLuhan eingeführte Konvention der Epochenbenennung verführt dazu, die Geschichte als eine der großen Männer (sehr viel seltener Frauen) zu denken.

Siehe auch

Literatur

Aufsätze

  • Wolfgang Coy: Von der Gutenbergschen zur Turingschen Galaxis: Jenseits von Buchdruck und Fernsehen. Einleitung zu: Marshall McLuhan: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Addison-Wesley, Köln 1995
  • Wolfgang Coy: Bauelemente der Turingschen Galaxis. In: Bulmahn, E., van Haaren, K., Hensche, D., Kieper, M., Kubicek, H., Rilling, R., Schmiede, R. (Hrsg.): Informationsgesellschaft-Medien-Demokratie. Reihe Forum Wissenschaft, BdWi-Verlag, Marburg 1996.
  • Wolfgang Coy: Turing@galaxis.com II. In: Warnke, Coy, Tholen (Hrsg.): HyperKult – Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien. Basel 1997, ISBN 3-86109-141-0; Vorabversion online
  • Michael Dlugosch: Zwischen Gutenberg- und Turing-Galaxis. In: Ende des Papiers – Schriftkultur am Ende? Themenheft Forum Medienethik, Nr 2, 1998
  • Wolfram Malte Fues: Die Turing-Galaxis. Überlegungen zu Hypertext und Hyperfiktionalität. In: Gabriel Scherer/Beatrice Wehrli (Hg.): Wahrheit und Wort. Festschrift für Rolf Tarot zum 65. Geburtstag. Lang, Bern u.a. 1996, S. 137–152.
  • Volker Grassmuck: Die Turing-Galaxis. Das Universal-Medium als Weltsimulation. In: Lettre International. deutsche Ausgabe, Heft 28 (1. Vj. 1995), S. 48–55.
  • Jörg Pflüger: Konversation, Manipulation, Delegation. Zur Ideengeschichte der Interaktivität. In: Hans Dieter Hellige (Hg.): Geschichten der Informatik. Visionen, Paradigmen, Leitmotive. Berlin 2004, S. 367–408
  • Jörg Pflüger: Writing, Building, Growing: Leitvorstellungen der Programmiergeschichte. In: Hans Dieter Hellige (Hg.): Geschichten der Informatik. Visionen, Paradigmen, Leitmotive. Berlin 2004, S. 275–319
  • Peter Plener: Per Gutenberg durch die Turing-Galaxis. In: Kakanien revisited: Emergenz. (Beiträge aus den „Emergenzen“-Workshops (2005/06)), 30. Oktober 2006
  • Irmela Schneider: Konzepte von Autorschaft im Übergang von der „Gutenberg-“ zur „Turing“-Galaxis. (PDF; 108 kB) In: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 3
  • Peter Friedrich Stephan: Denken am Modell – Gestaltung im Kontext bildender Wissenschaft. In: Bernhard E. Bürdek (Hrsg.), Der digitale Wahn. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2000
  • Martin Warnke: Das Medium in Turings Maschine. In: Martin Warnke, Wolfgang Coy und Georg Christoph Tholen (Hg.): HyperKult. S. 69–82, Stroemfeld/nexus, Basel 1997
  • Martin Warnke: Turing-Medien. In: Klaus Peter Dencker (Hg.): Interface 5 – Die Politik der Maschine. S. 372–382, Hans-Bredow Institut, Hamburg 2002

Weblinks

Einzelnachweise

<references />