Ontologie


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25px Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Zu Ontologien für die Wissensrepräsentation siehe Ontologie (Informatik).

Die Ontologie (altgriechisch ὄν on ‚seiend‘, Partizip Präsens zu εἶναι einai ‚sein‘, und -logie (aus λόγος lógos „Lehre“)) ist eine Disziplin der theoretischen Philosophie. Die Ontologie befasst sich mit einer Einteilung des Seienden und den Grundstrukturen der Wirklichkeit und der Möglichkeit. Dieser Gegenstandsbereich ist weitgehend deckungsgleich mit dem, was nach traditioneller Terminologie „allgemeine Metaphysik“ genannt wird. Dabei wird etwa eine Systematik grundlegender Typen von Entitäten (konkrete und abstrakte Gegenstände, Eigenschaften, Sachverhalte, Ereignisse, Prozesse) und ihrer strukturellen Beziehungen diskutiert. Spezielle Gegenstandsbereiche betreffende Fragen sind hingegen zum Beispiel „Was ist der Mensch?“, „Gibt es einen Gott?“ oder „Hat die Welt einen Anfang?“. Diese Themen fielen nach traditioneller Stoffgliederung in den Bereich „spezielle Metaphysik“. Bei einigen traditionellen Herangehensweisen steht der Begriff des Seins und sein Verhältnis zu den einzelnen Entitäten im Vordergrund. Heute werden in der analytischen Ontologie die Ausdrücke „Ontologie“ und „Metaphysik“ zumeist synonym verwendet. In der Informatik werden seit den 1990er Jahren formale Repräsentationssysteme, angelehnt an den philosophischen Begriff, als „Ontologien“ bezeichnet.

Begriff

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Die christliche Dreifaltigkeitslehre: äußerer Text: Der Vater ist nicht der Sohn, der Sohn ist nicht der Heilige Geist, der Heilige Geist ist nicht der Vater; innerer Text: Der Vater ist Gott; der Sohn ist Gott; der Heilige Geist ist Gott

Der Ausdruck Ontologie scheint in deutscher Sprache zum ersten Mal von Rudolf Göckel (1547–1628) gebraucht worden zu sein. Ungefähr zur gleichen Zeit ist ein Beleg bei Jacob Lorhard (1561–1609), Professor in St. Gallen, Schweiz.<ref>Jacobo Lorhardo: „Theatrum philosophicum“, Ogdoas Scholastica continens Diagraphen Typicam artium: Grammatices (Latinae, Graecae), Logices, Rhetorices, Astronomices, Ethices, Physices, Metaphysices, seu Ontologiae, 1. A. Sangalli 1606, hier 2. A. Basel; vgl. Joseph S. Freedman: Deutsche Schulphilosophie im Reformationszeitalter (1500–1650): ein Handbuch für den Hochschulunterricht, Münster, MAKS 1985; Jean-François Courtine: Suarez et le système de la métaphysique, Paris, Presses Universitaires de France 1990, 410 n. 6</ref> Johann Georg Walch (1693–1775) definiert in seinem Werk Philosophisches Lexicon: „Ontologie bedeutet die Lehre vom Ende berührt nicht das Übersinnliche“. Sie „wird Transzendental-Philosophie genannt, weil sie Bedingungen und ersten Elemente aller unserer Erkenntnis a priori enthält“.<ref>Kant: Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik. In: Gesammelte Werke, Akademie Textausgabe, Berlin (1968), Bd. 20, S. 260.</ref>

Für Hegel (1770–1831) hat zwar die ehemalige Metaphysik durch die kritische Philosophie „ihre Endschaft erreicht“.<ref>Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Heidelberg 1975 (1817), § 18</ref> Da aber „ein gebildetes Volk ohne Metaphysik“ wie ein „Tempel ohne Allerheiligstes“ sei,<ref>Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Heidelberg 1975 (1817), S. 4.</ref> versucht Hegel, diese in seiner Seins- und Wesenslogik kritisch wiederherzustellen.

Der – vor allem in England und Frankreich verbreitete – empiristisch orientierte Materialismus des 17. und 18. Jh. weist Wolffs ontologisches System zurück. Für Ludwig Feuerbach (1804–1872), der den Materialismus in Deutschland als Gegenpol zur spekulativen Philosophie Hegels rezipiert, ist der „objektiv begründete Anfang, die wahre Basis der Philosophie, die Natur“.<ref>Ludwig Feuerbach: Einige Bemerkungen über den ›Anfang der Philosophie‹ von Dr. J.F. Reiff. In: Ludwig Feuerbach Werke in sechs Bänden, Fft./M., Band 3, S. 133.</ref> Der Versuch, „das Seiende als solches“ abzuleiten, erscheint ihm erkenntnistheoretisch gesehen undurchführbar. Denn das „Denken ist aus dem Sein, aber das Sein nicht aus dem Denken. Sein ist aus sich und durch sich – Sein wird nur durch Sein gegeben –, Sein hat seinen Grund in sich“.<ref>Ludwig Feuerbach: Vorläufige Thesen zur Reform der Philosophie. In: Ludwig Feuerbach: Kleine philosophische Schriften (1842–1845). Herausgegeben von Max Gustav Lange, Leipzig: Felix Meiner, 1950, S. 73.</ref>

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist größtenteils durch die Ablehnung des von Hegels spekulativ-dialektischen System gekennzeichnet. Die Ontologie wird mit einem Tabu belegt. Dominante Richtungen dieser Zeit sind der Positivismus und die Lebensphilosophie, die beide durch den Neukantianismus beeinflusst wurden.

In der Philosophie des 20. Jahrhunderts erwacht wieder ein gewisses Interesse an der Ontologie. In der Neuscholastik (Hans Driesch (1867–1941), Erich Becher (1882–1929) und Aloys Wenzl (1887–1967)) findet eine Auseinandersetzung mit der von Aristoteles geprägten Thomistischen System-Konzeption statt.

Alte und neue Ontologie

Unter alter Ontologie versteht man die hauptsächlich von Parmenides vertretene Richtung der Philosophie. Da diese Lehre das Sein verabsolutierte und das Nichts als undenkbar bezeichnete, wird solche Auffassung gern als positivistisch bezeichnet. Gegen solche Einstellung ist der Vorwurf des Szientismus erhoben worden. Die alte Ontologie ist auf der naturphilosophischen und kosmologischen Überzeugung der Unwandelbarkeit des Kosmos bzw. des Sternenhimmels entstanden, siehe Mechanistisches Weltbild.<ref>Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse. In: Technik und Wissenschaft als »Ideologie«. (Edition 287). 1. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt 1968), [1965 Merkur] S. 147 f.</ref> Nach Georgi Schischkoff beschränkte die alte Ontologie den Begriff der Realität auf Materialität. Das zeitlos Allgemeine und Unwandelbare galt in der alten Ontologie als Sein höherer Ordnung, ja als das allein wahre Sein. Die neue Ontologie hat einen viel umfassenderen Realitätsbegriff, der sich auf eine Stufenordnung der realen Welt bezieht.<ref name="PWB">Georgi Schischkoff (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 14. Auflage. Alfred-Kröner, Stuttgart 1982, ISBN 3-520-01321-5, (a) zu Lexikon-Stw. „Sein“, S. 628; (b) zu Lexikon-Stw. „Ontologie“ S. 503 f.</ref> Nach Nicolai Hartmann hat sich gerade das, was einst als Reich der Vollkommenheit galt, das Reich der Wesenheiten, deren schwache und unvollkommene Abbilder die empirisch wahrnehmbaren Dinge sind, als das Reich des unvollständigen Seins erwiesen, das nur in der Abstraktion gebildet werden konnte. Dies sei der vielleicht greifbarste Gegensatz zwischen neuer und alter Ontologie.<ref>Nicolai Hartmann: Neue Wege der Ontologie. In: Systemat. Philos. 3. Auflage. 1949.</ref>

Verbindung zu anderen Wissenschaften

Die Philosophie versteht unter Ontologie die Grundstrukturen der Wirklichkeit und nimmt dabei in Anspruch, ein allgemeingültiges Werkzeug bereitzustellen, um die Welt verstehen zu können. Es ist also folgerichtig, dass der Begriff Ontologie oder Synonyme dieses Begriffs in anderen Wissenschaften ebenfalls verwendet werden.

Etabliert hat sich der Begriff in der Informatik und dort z. B. in den Gebieten Semantic Web und Verstehen natürlicher Sprache. In anderen Wissenschaften ist der Begriff Ontologie weniger stark etabliert, wird aber dennoch gelegentlich verwendet, z. B. in Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Psychologie<ref>Thomas Bernhard Seiler: Evolution des Wissens. Band I: Evolution der Erkenntnisstrukturen. 2012, ISBN 978-3-643-11376-4.</ref><ref>Thomas Bernhard Seiler: Evolution des Wissens. Band II: Evolution der Begriffe. 2012, ISBN 978-3-643-11377-1.</ref> und Mathematik. Im Unterschied zur Philosophie bezieht sich der Ontologiebegriff dann aber auf ein begrenztes Themengebiet oder ein spezifisches Subjekt oder Objekt.

Der Plural Ontologien wird in der Philosophie für die Ontologien verschiedener Philosophen verwendet, von denen in der Regel jede für sich aber Allgemeingültigkeit beansprucht. In den anderen Wissenschaften dagegen, bezieht sich der Plural Ontologien auf verschiedene Ausschnitte der Wirklichkeit. Z. B. verschiedene Wissensgebiete, verschiedene Personen und deren jeweiliges Weltbild.

Inhaltlich besteht eine begriffliche Nähe der Ontologie zur Systemtheorie und zur Kybernetik, die sich ebenfalls mit Strukturen der Wirklichkeit beschäftigen, wenn auch stärker mit deren quantitativen Aspekten und dynamischen Prozessen.

Auch das mathematische Gebiet der Formalen Begriffsanalyse, beschäftigt sich mit dem Ordnen von Gegenständen und ihren Merkmalen in einer Struktur. Ontologien im Sinne der Informatik lassen sich mit den Mitteln der Formalen Begriffsanalyse aus der Mathematik formal beschreiben.

Entsprechungen in anderen Kulturen

Der Ansatz der asiatischen Philosophie, die Wirklichkeit mit einer gedanklichen Grundstruktur zu unterlegen, unterscheidet sich stark von der westlichen Ontologie. Er richtet sich stärker an Beziehungen, Prozessen und Kreisläufen aus und stellt Dinge und ihre Eigenschaften als vergänglich in den Hintergrund. Ob dieser Ansatz ebenfalls unter den Oberbegriff Ontologie gefasst werden soll, ist umstritten.

  • Pro wird argumentiert, dass es ebenfalls darum geht, die Wirklichkeit durch eine gedankliche Grundstruktur greifbar zu machen.
  • Kontra wird argumentiert, dass der Begriff Ontologie aus dem Griechischen stammt und damit fest mit der westlichen Philosophie und deren Vorstellungen verknüpft ist. Auch wird die asiatische Philosophie häufig gleichgesetzt mit der Form, in der sich in westlichen esoterischen Kreisen auf sie bezogen wird.

Zu den Grundstrukturen östlicher Philosophie siehe Wuji, Yin und Yang, Fünf-Elemente-Lehre, Daodejing, Laozi und mit Einschränkungen auch die Acht Trigramme.

Allerdings wird die Konzentration auf Dinge und Eigenschaften durchaus auch in Zweigen der abendländischen Philosophie kritisiert. Siehe hierzu Prozessphilosophie.

Vermutlich finden sich auch in weiteren Kulturen Grundstrukturen der Erkenntnis, bei denen man darüber streiten kann, ob sie eine Ontologie darstellen, und die sich dabei deutlich vom abendländischen Ontologie-Verständnis unterscheiden.

Literatur

Siehe auch Literatur zu Metaphysik.

Ältere und moderne Klassiker

  • Thomas von Aquin: Über Seiendes und Wesenheit. De ente et essentia. Lateinisch-Deutsch, mit Einleitung, Übersetzung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl. Meiner, Hamburg 1988, ISBN 3-7873-0771-0.
  • Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie. Suhrkamp, Frankfurt am Main, neue erweiterte Ausgabe (!) 1970, DNB 456137513. (identisch mit Gesamtausgabe Band 13)
  • Georg Lukács: Ontologie – Marx. Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins. Die Ontologischen Grundprinzipien bei Marx. 1972, DNB 730293432.
  • Heinrich Rombach: Strukturontologie. Eine Phänomenologie der Freiheit. 2. unveränderte Auflage. Freiburg i.Br./ München 1988, ISBN 3-495-47637-7.

Systematische Darstellungen und Handbücher

  • Artikel „Ontologie“ in:
    • Ritter/Gründer/Gabriel (Hrsg.): HWPh
    • Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.:): Enzyklopädie Philosophie
    • Ders. (Hrsg.): Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften
  • David Malet Armstrong: Universals: an opinionated introduction, Westview 1989, ISBN 0-8133-0772-4 Zugleich eine sehr klare Einführung in Grundprobleme der systematischen Ontologie.
  • Hans Burkhardt, Barry Smith (Hrsg.): Handbook of Metaphysics and Ontology. Philosophica Analytica, München 1991, ISBN 3-88405-080-X.
  • Jan Faye, Uwe Scheffler, Max Urchs: Things, Facts and Events. Rodopi, 2000, ISBN 90-420-1533-0.
  • Reinhardt Grossmann: Die Existenz der Welt. Eine Einführung in die Ontologie. 2. Auflage. ontos, Frankfurt 2004, ISBN 3-937202-38-2.
  • John Heil: From an ontological point of view. Oxford University Press, Oxford 2005, ISBN 0-19-925974-7.
  • Michael Loux: Metaphysics – A Contemporary Introduction. 3. Auflage. London 2006.
  • E.J. Lowe: A Survey of Metaphysics. Oxford 2002.
  • Uwe Meixner: Einführung in die Ontologie. Wissenschaftl. Buchges., Darmstadt 2004, ISBN 3-534-15458-4.
  • Edmund Runggaldier, Christian Kanzian: Grundprobleme der analytischen Ontologie. Schöningh, Paderborn 1998, ISBN 3-506-99493-X.
  • Benjamin Schnieder: Substanzen und (ihre) Eigenschaften. Eine Studie zur analytischen Ontologie. De Gruyter, Berlin 2004, ISBN 3-11-018155-X.
  • Erwin Tegtmeier: Grundzüge einer kategorialen Ontologie. Dinge, Eigenschaften, Beziehungen, Sachverhalte. Alber, Freiburg/ München 1992, ISBN 3-495-47722-5.
  • Béla Weissmahr: Ontologie. 2. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 1991, ISBN 3-17-011775-0.

Zur Geschichte der Ontologie

  • Kevin Mulligan: A History of Early Analytic Metaphysics. In: Steven D. Hales (Hrsg.): Analytic Philosophy: Classic Readings. Wadsworth/Thomson Learning, Belmont, Cal. 2002, ISBN 0-534-51277-1, S. 83ff.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Ontologie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

<references />

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