Stetigkeit


aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wechseln zu: Navigation, Suche
25px Dieser Artikel behandelt den Begriff der Stetigkeit in der Mathematik. Für andere Bedeutungen siehe Kontinuität.

Die Stetigkeit (Kontinuität) ist ein Konzept der Mathematik, das vor allem in den Teilgebieten der Analysis und der Topologie von zentraler Bedeutung ist. Eine Funktion heißt stetig (kontinuierlich), wenn hinreichend kleine Änderungen des Argumentes (der Argumente) zu beliebig kleinen Änderungen des Funktionswertes führen. Das heißt insbesondere, dass in den Funktionswerten keine Sprünge auftreten. Treten Sprünge nur in einer Richtung auf, spricht man von Halbstetigkeit.

Definitionen

Datei:Discontinuity-jump.svg
Graphische Veranschaulichung einer unstetigen reellen Funktion

Die Idee der Stetigkeit kann wie folgt beschrieben werden: Eine reellwertige Funktion <math>f\colon I\to\mathbb{R}</math> auf einem reellen Intervall <math>I\subseteq\mathbb{R}</math> ist stetig, wenn der Graph der Funktion <math>f</math> ohne Absetzen des Stiftes gezeichnet werden kann. Die Funktion darf insbesondere keine Sprungstellen haben. Diese Aussage ist keine Definition, weil einerseits unklar ist, wie ohne Absetzen des Stiftes zeichnen in mathematischen Begriffen ausgedrückt werden könnte. Andererseits gibt es sowohl stetige Funktionen, deren Graphen Sprünge aufweisen (Bsp.: <math> x \mapsto \tfrac{1}{x}; x\in\R \setminus \{0\}</math>), als auch unstetige Funktionen, deren Graphen keine Sprünge im anschaulichen Sinne aufweisen (Bsp. Dirichlet-Funktion: zwei parallele, durchgezogene Linien). Trotzdem entspricht sie ungefähr der Bedeutung der Stetigkeit und ist daher für die Anschauung sehr nützlich.

Augustin-Louis Cauchy und Bernard Bolzano gaben Anfang des 19. Jahrhunderts unabhängig voneinander eine Definition der Stetigkeit. Sie nannten eine Funktion stetig, wenn hinreichend kleine Änderungen des Arguments nur beliebig kleine Änderungen des Funktionswerts nach sich zögen. Dies war bereits eine exakte Definition, die aber in ihrer praktischen Anwendung gewisse Fragen offenlässt. Das heutzutage übliche ε-δ-Kriterium wurde von Karl Weierstraß am Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt.

Es sagt in Worten etwa: Die Funktion <math>f</math> ist in einem Punkt <math>p</math> stetig, wenn es zu jeder Umgebung <math>V</math> seines Bildpunktes <math>f(p)</math> eine Umgebung <math>U</math> von <math>p</math> gibt, die durch <math>f</math> ganz in die Umgebung <math>V</math> abgebildet wird.

Stetigkeit reeller Funktionen

Für reelle Funktionen sind mehrere äquivalente Definitionen der Stetigkeit üblich:

Datei:Example of continuous function.png
Veranschaulichung der ε-δ-Definition: für ε = 0,5 erfüllt δ := 0,5 die Stetigkeitsbedingung.
Datei:Continuity of the Exponential at 0.svg
Beispiel zum Folgenkriterium: Die Folge exp(1/n) konvergiert gegen exp(0)
Epsilon-Delta-Kriterium<ref>Harro Heuser, Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-12231-6. Definition 34.6</ref>
Die Funktion <math> f\colon D \to \R</math> ist stetig in <math>\xi \in D</math>, wenn zu jedem <math>\varepsilon>0</math> ein <math>\delta > 0</math> existiert, so dass für alle <math>x \in D</math> mit <math>|x - \xi| < \delta</math> gilt: <math>|f(x) - f(\xi)| < \varepsilon </math>.

Intuitiv bedeutet dies, dass man in eine noch so kleine <math>\varepsilon</math>-Umgebung alle Funktionswerte einschließen kann, wenn man die <math>\delta</math>-Umgebung für die <math>x</math>-Werte klein genug wählt.

Folgenkriterium<ref>Harro Heuser, Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-12231-6. S. 212</ref>

Eine äquivalente Formulierung verwendet Grenzwerte von Folgen:

Die Funktion <math> f\colon D\to \R</math> ist stetig in <math>\xi \in D</math>, wenn für jede Folge <math>(x_k)_{k\in\N}</math> mit Elementen <math>x_k\in D</math>, die gegen <math>\xi</math> konvergiert, die Folge <math>\bigl(f(x_k)\bigr)_{k\in\N}</math> gegen <math>f(\xi)</math> konvergiert.

Kurz: Aus <math>\lim\limits_{k\to\infty} x_k = \xi</math> folgt stets <math>\lim\limits_{k\to\infty} f(x_k) = f(\xi)</math>.

Limeskriterium<ref>Harro Heuser
Lehrbuch der Analysis. Teil 1. 8. Auflage, B. G. Teubner, Stuttgart 1990. ISBN 3-519-12231-6. Satz 38.2</ref>

Der Begriff der Stetigkeit einer Funktion lässt sich auch mit Hilfe des Begriffs des Grenzwerts einer Funktion definieren:

Eine Funktion <math>f</math> ist stetig in <math>\xi\in D</math> genau dann, wenn der Grenzwert von <math>f</math> für <math>x\to \xi</math> existiert und <math>\lim_{x\to \xi}f(x)=f\left(\xi\right)</math> gilt oder wenn <math>\xi</math> ein isolierter Punkt ist.
Topologisches Kriterium<ref>Dirk Werner
Einführung in die höhere Analysis. 2. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-79599-5, S. 13.</ref>

Eine äquivalente Charakterisierung der Stetigkeit ist eine topologische:

Eine Funktion <math>f</math> ist stetig in <math>\xi\in D</math> genau dann, wenn für jede Umgebung <math>U</math> von <math>f(\xi)</math> das Urbild <math>f^{-1}(U)</math> eine Umgebung von <math>\xi</math> ist.

Allgemein gilt: Eine Funktion heißt stetig auf <math>D</math>, wenn sie an jeder Stelle ihres Definitionsbereiches stetig ist.

Beispiele

  • Die Sinusfunktion <math>\sin\colon \R \to \R,\; x \mapsto \sin x</math> ist in <math>\R</math> stetig.
  • Die Kosinusfunktion <math>\cos \colon \R \to \R,\; x \mapsto \cos x</math> ist in <math>\R</math> stetig.
  • <math> f \colon \R \to \R,\; x \mapsto e^{\cos x}</math> ist (als Komposition der Exponential- und der Kosinusfunktion) in <math>\R</math> stetig.
  • Die Tangensfunktion <math>\tan\colon D\to\R, x\mapsto\tan x</math> ist stetig in ihrem gesamten Definitionsbereich <math>D</math>. Dieser ergibt sich wegen <math>\tan x = \tfrac{\sin x}{\cos x}</math> zu <math>D=\{ x \in \R \, | \, \cos x \neq 0 \}</math>, also zu <math>D=\R \setminus \{ \pm \tfrac{\pi}{2}, \pm \tfrac{3 \pi}{2}, \pm \tfrac{5 \pi}{2}, \dotsc \}</math>.
    Bemerkung: Keine Unstetigkeitsstellen sind die Argumente <math>\{ \pm \tfrac{\pi}{2}, \pm \tfrac{3 \pi}{2}, \pm \tfrac{5 \pi}{2}, \dotsc \}</math> sowie das Argument <math>x=0</math> der Kehrwert-Funktion, da die Funktionen an diesen Stellen gar nicht definiert sind und sich Stetigkeit immer nur auf Punkte des Definitionsbereichs beziehen kann.
  • Die Kehrwert-Funktion <math>f\colon D \to \mathbb{R},\ x \mapsto \tfrac{1}{x}</math> ist stetig auf ihrem gesamten Definitionsbereich <math>D=\mathbb{R} \setminus \{0\}</math>.
  • Die Vorzeichenfunktion
    <math style="margin-left:2em">\operatorname{sgn}(x)=\begin{cases}1\ , & x>0\ ,\\ 0\ , & x=0\ ,\\ -1\ , & x<0\ ,\end{cases}</math>
    ist an jeder Stelle <math>x \in \R\setminus \{0\}</math> stetig, aber an der Stelle 0 unstetig: Der linksseitige Grenzwert ist −1, der rechtsseitige Grenzwert +1 und somit existiert der Grenzwert <math>\textstyle \lim_{x\to 0}\,\operatorname{sgn}(x)</math> nicht. Deshalb ist die Vorzeichenfunktion nicht auf ganz <math>\R</math> stetig.
  • Die Funktion
    <math style="margin-left:2em">f \colon \mathbb{R} \rightarrow \mathbb{R}\ ,\ f(x) := \left\{\begin{array}{ll}\sin\left(\frac{1}{x}\right)\ ,&x \in \mathbb{R}\setminus\{0\}\ ,\\0\ ,&x = 0\ ,\end{array}\right.</math>
    ist an der Stelle 0 unstetig (sogenannte Oszillationsstelle), in allen anderen Punkten stetig.
  • Die Dirichlet-Funktion
    <math style="margin-left:2em">f \colon \mathbb{R} \rightarrow \mathbb{R}\ ,\ f(x) := \left\{\begin{array}{ll}1\ ,&x \in \mathbb{Q}\ ,\\0\ ,&x \in \mathbb{R} \setminus \mathbb{Q}\ ,\end{array}\right.</math>
    ist an jeder Stelle unstetig.
  • Die thomaesche Funktion auf dem Intervall <math>\rightarrow\mathbb{R}, x\mapsto \sqrt{|x|}</math> ist absolut stetig, also gleichmäßig stetig, aber nicht lokal Lipschitz-stetig im Nullpunkt.
  • Die Cantorfunktion auf dem Intervall <math>[0,1]</math> ist gleichmäßig stetig, aber nicht absolut stetig.

Wichtige Sätze über stetige Funktionen

Verkettung stetiger Funktionen

Jede Verkettung (auch Komposition, Hintereinanderausführung oder Hintereinanderschaltung genannt) stetiger Funktionen ist auch wieder stetig.

Summen stetiger Funktionen

Endliche Summen stetiger Funktionen sind stetig.

Eine Reihe kann jedoch als Grenzwert einer Folge stetiger Funktionen selbst dann unstetig sein, wenn sie in jedem einzelnen Punkt gegen einen endlichen Grenzwert konvergiert. Das älteste Beispiel hierfür ist die 1826 von Niels Henrik Abel angegebene Reihe

<math>\sum_{n=1}^\infty (-1)^n \frac{\sin(nx)}n,</math>

die unter anderem an der Stelle <math>x=\pi</math> unstetig ist.<ref name="Walter"> Wolfgang Walter: Analysis 1. 7. Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 1985, 1990, 1992, 1997, 1999, 2001, 2004, ISBN 3-540-20388-5, S. 137.</ref> Liegen allerdings stärkere Voraussetzungen wie etwa die gleichmäßige Konvergenz der Partialsummen der Reihe vor, so ist auch die Grenzfunktion zwangsläufig stetig.

Stetigkeit der Umkehrfunktion

Sind <math>I</math> ein Intervall in <math>\mathbb{R}</math> und <math>f\colon I\rightarrow\mathbb R</math> eine stetige, streng monoton wachsende oder streng monoton fallende Funktion, dann ist das Bild von <math>f</math> ein Intervall <math>J</math>, <math>f\colon I\to J</math> ist bijektiv, und die Umkehrfunktion <math>f^{-1}\colon J\to I</math> ist stetig. Somit ist <math>f</math> ein Homöomorphismus von <math>I</math> nach <math>J</math>.

Dies gilt wie angegeben nur für Funktionen, die im gesamten Intervall stetig sind. Ist <math>f</math> eine umkehrbare und an der Stelle <math>x_0</math> stetige Funktion, so ist die Umkehrfunktion <math>f^{-1}</math> an der Stelle <math>f(x_0) </math> im Allgemeinen nicht stetig. Als Gegenbeispiel sei <math>f\colon \left]-\infty,0\right[ \cup \left[1,+\infty\right[\rightarrow\mathbb R</math> definiert durch:

<math>f(x)=\begin{cases} x, & x<0,\\ x-1, & x\geq1.\end{cases}</math>

Dann ist <math>f</math> bijektiv und an der Stelle <math>1</math> stetig, aber <math>f^{-1}</math> ist in <math>0=f(1)</math> unstetig.

Allgemein gilt folgender Satz: Sind <math>X</math> und <math>Y</math> topologische Räume und dabei <math>X</math> kompakt und <math>Y</math> hausdorffsch und ist <math>f:X\rightarrow Y</math> eine stetige Bijektion, so ist auch die Umkehrfunktion stetig und <math>f:X\rightarrow Y</math> damit sogar ein Homöomorphismus.<ref> Horst Schubert: Topologie. Eine Einführung (= Mathematische Leitfäden). 4. Auflage. B. G. Teubner Verlag, Stuttgart 1975, ISBN 3-519-12200-6, S. 62.</ref>

Zwischenwertsatz

Hauptartikel: Zwischenwertsatz

Der Zwischenwertsatz besagt, dass eine auf dem Intervall <math>[a,b]</math> (mit <math>a<b</math>) stetige Funktion jeden Wert zwischen <math>f(a)</math> und <math>f(b)</math> mindestens einmal annimmt.

Formal:

Ist <math>f\colon[a,b]\to\mathbb{R}</math> eine stetige Funktion mit <math>a<b</math> und <math>f(a)<f(b)</math>, dann existiert für alle <math>d\in[f(a),f(b)]</math> ein <math>x\in[a,b]</math>, so dass <math>f(x)=d</math>.
Analog für <math>f(a)>f(b)</math> und <math>d\in[f(b),f(a)]</math>.

Eine äquivalente Formulierung ist: Das Bild einer stetigen Funktion auf einem Intervall ist wieder ein Intervall. (Das Bild eines offenen oder halboffenen Intervalles kann aber durchaus ein abgeschlossenes Intervall sein.)

Satz von Bolzano

Als Spezialfall enthält der Zwischenwertsatz folgenden Satz von Bernard Bolzano: Nimmt die auf einem abgeschlossenen Intervall stetige Funktion <math>f(x)</math> an zwei Stellen <math> a </math> und <math> b </math> dieses Intervalls Funktionswerte mit unterschiedlichem Vorzeichen an, so gibt es zwischen <math> a </math> und <math> b </math> mindestens eine Stelle <math> c </math>, an der die Funktion <math>f</math> verschwindet, das heißt <math>f(c)=0</math>. Die Funktion hat also dort eine Nullstelle.

Satz vom Minimum und Maximum

Eine reellwertige Funktion, die auf einer kompakten Teilmenge von <math>\mathbb R^n</math> (die damit abgeschlossen und beschränkt ist) stetig ist, ist beschränkt und nimmt ihre obere und ihre untere Grenze an. Für reelle Funktionen lässt sich das wie folgt umformulieren: Ist <math>f\colon[a,b]\to\mathbb{R}</math> stetig, so gibt es Stellen <math>t,h\in[a,b]</math>, so dass

<math>f(t)\leq f(x)\leq f(h)</math> für alle <math>x\in[a,b]</math>

gilt.

Dieser von Weierstraß bewiesene Satz, bisweilen auch Extremwertsatz genannt, liefert nur die Existenz dieser Extremwerte. Für das praktische Auffinden dieser Punkte sind Aussagen aus der Differentialrechnung nützlich.

Die Aussage gilt auch auf quasikompakten topologischen Räumen.<ref>Einen allgemeinen Beweis dazu findet man im Beweisarchiv.</ref>

Differenzierbarkeit stetiger Funktionen

Datei:WeierstrassFunction.svg
Graph einer reellen Weierstraß-Funktion im Intervall <math>[-2,2]</math>. Sie ist stetig, aber nirgends differenzierbar.

Stetige Funktionen sind nicht notwendig differenzierbar. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts war man überzeugt, dass eine stetige Funktion höchstens an wenigen Stellen nicht differenzierbar sein könne (wie die Betragsfunktion). Bernard Bolzano konstruierte dann als erster Mathematiker eine Funktion, die überall stetig, aber nirgends differenzierbar ist, die Bolzanofunktion, was in der Fachwelt allerdings nicht bekannt wurde; Karl Weierstraß fand dann in den 1860er Jahren ebenfalls eine derartige, als Weierstraß-Funktion bekannte Funktion, was diesmal unter Mathematikern Wellen schlug. Seine Funktion ist folgendermaßen definiert:

<math>f(x) = \sum_{n=0}^{\infty}b^n \cos(a^n\pi x)</math>,

wobei <math>a</math> eine ungerade natürliche Zahl ist und <math>b \in \left]0,1\right[</math> mit <math>ab>2+\tfrac{3}{2}\pi</math>.

Funktionenräume stetiger Funktionen

Der Raum der stetigen reellwertigen Funktionen auf einem topologischen Raum <math>D</math> ist ein reeller Vektorraum, er wird mit <math>C(D)</math> bezeichnet. In diesem Raum sind insbesondere alle differenzierbaren Funktionen enthalten, falls <math>D</Math> eine offene Teilmenge des <math>\mathbb R^n</math> oder einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit ist. Funktionen, deren Ableitungen ebenfalls stetig sind, nennt man stetig differenzierbar. Diese Funktionen bilden ebenfalls einen linearen Raum, der <math>C^1(D)</math> genannt wird. Entsprechend definiert man <math>C^n(D)</math> als den Raum der Funktionen, die <math>n</math>-mal differenzierbar sind, wobei die <math>n</math>-te Ableitung stetig ist, die also <math>n</math>-mal stetig differenzierbar sind. Des Weiteren bezeichnet <math>C^\infty(D)</math> den Raum der beliebig oft differenzierbaren Funktionen.

Einzelnachweise

<references />

Weblinks

Commons Commons: Stetigkeit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien