Phasenverschiebung
Die Phasenverschiebung, auch Phasendifferenz oder Phasenlage, ist ein Begriff der Physik und Technik. Zwei Sinusschwingungen sind gegeneinander phasenverschoben, wenn deren Periodendauern zwar übereinstimmen, die Zeitpunkte ihrer Nulldurchgänge aber nicht. Die Angabe einer konstanten Phasenverschiebung ist auch dann möglich, wenn die Periodenlängen nicht gleich, aber ganzzahlige Vielfache voneinander sind.
Phasenverschiebungen können dort auftreten, wo Zeitglieder, Trägheiten oder Reaktanzen eine Rolle spielen, so vor allem in der Elektrotechnik, der Elektroakustik, der Akustik und in der Schwingungsmechanik.
In der Bautechnik wird mit Phasenverschiebung der Zeitraum zwischen dem Auftreten der höchsten Temperatur auf der Außenoberfläche eines Bauteils bis zum Erreichen der höchsten Temperatur auf dessen Innenfläche bezeichnet, obwohl keine sinusförmige Funktion vorliegt.
Links: Zwei rotierende Zeiger mit demselben Unterschied im Phasenwinkel.
Inhaltsverzeichnis
Veranschaulichung
Eine Phasenverschiebung sieht man in einem Liniendiagramm der Wechselgrößen über der Zeit am Versatz der Nulldurchgänge (bei gleichem Anstieg der Kurven). Sie lässt sich auch im Zeigermodell veranschaulichen. Die zwei Schwingungen werden durch Zeiger symbolisiert, die beide um den Koordinatenursprung mit derselben konstanten Winkelgeschwindigkeit <math>\omega</math> rotieren. Eine volle Umdrehung entspricht einer vollen Periode der Schwingung. Der Phasenverschiebungswinkel<ref name="DIN 11">DIN 1311-1:2000 Schwingungen und schwingungsfähige Systeme</ref><ref name="DIN 10">DIN 40 110-1:1994 Wechselstromgrößen – Zweileiter-Stromkreise</ref>, auch die Phasendrehung, ist hier der von beiden Zeigern eingeschlossene Winkel. Der Richtungssinn der Phasenverschiebung einer Schwingung gegenüber der Bezugsschwingung führt auch zu der Bezeichnung von Nacheilwinkeln oder Voreilwinkeln bzw. dem Nacheilen oder Voreilen. Die Verwendung der Zeiger als komplexe Größen erleichtert vielfach mathematische Berechnungen (siehe komplexe Wechselstromrechnung).
Größenangabe der Phasenverschiebung
Eine Periodendauer entspricht dem Vollwinkel von 360°, und die zeitliche Phasenverschiebung wird als Winkel <math>\Delta\varphi</math> angegeben. Statt <math>\Delta \varphi</math> wird auch einfach <math>\varphi</math> geschrieben, sofern Verwechslungen ausgeschlossen sind. Eindeutiger ist ein indiziertes Formelzeichen; beispielsweise kann bei einer Spannung <math>u(t)=\hat u\,\cos(\omega t+ \varphi_u)</math> gegenüber einem Strom <math>i(t)=\hat \imath \,\cos(\omega t+ \varphi_i)</math> für die Differenz <math>\varphi_u -\varphi_i</math> ein erklärendes <math>\varphi_{ui}</math> verwendet werden.
Winkel werden in Radiant oder in Grad angegeben;<ref name="DIN 01">DIN 1301-1:2010 Einheiten – Einheitennamen, Einheitenzeichen</ref> z. B. bedeuten die Angaben <math>\frac\pi 2</math> und 90° dieselbe Phasenverschiebung von einer Viertelperiode. Es ist auch möglich, als Maß die Phasenverschiebungszeit <math>\Delta t=\Delta \varphi/\omega</math> anzugeben<ref name="DIN 11" /> oder eine Längenangabe, wenn bei dem Vorgang ein räumlicher Weg zurückgelegt wird, z. B. bei einem Lichtstrahl.
In der elektrischen Energietechnik wird die Phasenverschiebung durch den Kosinus des Phasenverschiebungswinkels <math>\varphi</math>, also <math>\cos\varphi</math>, angegeben. Der „<math>\cos\varphi</math>“, auch Wirkfaktor genannt, ist auf jedem Wechselstrommotor-Leistungsschild sowie anderen reaktiven elektrischen Verbrauchern angegeben und dient zum Beispiel zur Berechnung des Wirkleistungs-Anteils an der Gesamtleistung oder zur Bemessung von Schaltkontakten (vgl. Schaltlichtbogen).
Mit einem Oszilloskop können zwei oder mehr gegeneinander zeitlich verschobene Schwingungen als einzelne Kurven unmittelbar in ihrem zeitlichen Verlauf sichtbar gemacht werden. Der zeitliche Versatz der Nulldurchgänge <math>\Delta t</math> und die Periodendauer <math>T</math> lassen sich ablesen und der Phasenverschiebungswinkel ausrechnen:
- <math>\frac{\Delta \varphi}{360^\circ} = \frac{\Delta t}T \;.</math>
Stimmen die Phasenwinkel überein, ist also die Phasendifferenz null, so bezeichnet man die Schwingungen als „gleichphasig“ oder „phasengleich“, umgangssprachlich liegen sie „in Phase“.
Erscheinungsformen, Anwendungen
Elektrotechnik
Datei:Phasenverschiebung induktiv.svg Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung an einer Induktivität |
Datei:Phasenverschiebung kapazitiv.svg Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung an einer Kapazität |
Datei:Dreiphasenwechselstrom.svg Dreiphasenwechselspannung besteht aus drei um je 120° gegeneinander versetzt schwingenden Wechselspannungen |
In der Elektrotechnik verwendet man den Begriff Phasenverschiebung in einem Wechselstromkreis im Zusammenhang mit Stromstärken und Spannungen. Eine Verschiebung tritt immer dann auf, wenn ein mit Wechselstrom betriebener Zweitor induktive oder kapazitive, differenzierende oder verzögernde Eigenschaften besitzt. Im Bereich hoher Frequenzen kann dafür allein schon die Signallaufzeit verantwortlich sein.
- Bei einer Induktivität (ideale Spule) folgt die Stromstärke der Spannung um 90° nach (die Spannung eilt der Stromstärke um 90° vor). Der Phasenverschiebungswinkel <math>\Delta\varphi = \varphi_{ui}</math> wird positiv angegeben; er ist unabhängig von der Frequenz.
- Bei einer Kapazität (idealer Kondensator) folgt die Spannung der Stromstärke um 90° nach. Der Phasenverschiebungswinkel wird negativ angegeben; er ist unabhängig von der Frequenz.
- Beim ohmschen Widerstand sind Spannung und Stromstärke immer gleichphasig.
- Bei einer Kombination von R, L und C kann der Phasenverschiebungswinkel beliebige Werte zwischen −90° und +90° annehmen; er hängt von der Frequenz ab und ändert sich besonders stark in der Nähe einer Resonanzstelle; vergleiche: Schwingkreis.
Hochfrequenztechnik
Hier wird die Phasenverschiebung zur Phasenmodulation verwendet. Im zweiseitigen Frequenzspektrum bedeutet das, dass der Zeiger der Signalfrequenz in wechselnde Richtungen in Bezug auf den Zeiger der Trägerfrequenz zeigt. Damit können Daten kodiert werden.
Akustik bzw. Tontechnik
Werden zwei oder mehrere Schallwellen gleicher Frequenz überlagert, so resultiert je nach Phasenverschiebungswinkel ein entweder verstärktes oder gedämpftes Signal. Eine solche Überlagerung wird Interferenz genannt und ist im Schallfeld ortsabhängig: Je nach Abstand und Position der Quellen ergeben sich an unterschiedlichen Betrachterpositionen alle möglichen Kombinationen von Verstärkungen und Abschwächungen (zum Thema Abschwächungen siehe auch Antischall).
Mit der Festlegung der Einheiten für den ebenen Winkel<ref name="DIN 01" />
- <math> 1\ \mathrm{rad} =1\ \frac{\mathrm m}{\mathrm m}=1\;;\quad 1^\circ =(\pi/180)\ \mathrm{rad}</math>
ergibt sich beispielsweise für eine feste Verzögerung von Δt = 0,5 ms folgenden frequenzabhängigen Phasenverschiebungswinkel ∆φ:
∆φ | ∆φ | f | λ |
---|---|---|---|
360° | 2 π rad | 2000 Hz | 0,1715 m |
180° | π rad | 1000 Hz | 0,3430 m |
90° | π/2 rad | 500 Hz | 0,6860 m |
45° | π/4 rad | 250 Hz | 1,372 m |
22,5° | π/8 rad | 125 Hz | 2,744 m |
11,25° | π/16 rad | 62,5 Hz | 5,488 m |
- Wellenlänge <math>\lambda = c / f</math>
- Schallgeschwindigkeit c = 343 m/s bei 20 °C
- Die Einheit Radiant kann weggelassen werden, wenn sie nicht zur Verdeutlichung einer Winkelangabe dienen soll.
Zum akustischen Zusammenhang von Phasenverschiebung ∆φ und Laufzeitdifferenz bei Stereofonie, ∆t siehe Laufzeitstereofonie. Mit digitaler Signalverarbeitung ist es heute möglich, die Phasenlage mehreren Lautsprechern zugeführter Signale individuell zu verstellen und damit für einen kleinen Abhörpunkt oder Messpunkt das Schallfeld gezielt zu steuern.
Andere Gebiete
In der Optik werden Linsen entspiegelt, indem eine dünne Schicht auf der Glasoberfläche eine Doppelreflexion erzeugt, die bei einer bestimmten Wellenlänge λ eine Phasenverschiebung der beiden Reflexionen von ½ λ erreicht. Üblicherweise wird die Schichtdicke auf die Wellenlänge des gelben Lichts (λ ≈ 600 nm) eingestellt.
Auch in den Wirtschaftswissenschaften sind Phasenverschiebungen bekannt, wie z.B. beim Schweinezyklus. Zeitverzögerungen im Regelmechanismus zwischen Nachfrage, Angebot und resultierendem Preis sowie den sich daraus ableitenden Investitionsanreizen erläutern das Phänomen einer Phasenverschiebung zwischen Preis und Güterstrom.
In der Ökologie beobachtet man in Räuber-Beute-Beziehungen oft periodische Populationsschwankungen. Dabei erfolgt die Schwankung der Räuber-Population gegenüber der Beute-Population phasenverzögert. (s. Lotka-Volterra-Regeln)
Mathematische Beschreibung
Gleichungen für Schwingung und rotierenden Zeiger
Der einfachste Fall einer Schwingung ist die harmonische Schwingung. Mathematisch lässt sie sich beschreiben durch
- <math>x(t) = \hat x \cdot \cos(\omega \cdot t + \varphi_0)\;;\quad \underline x(t) = \hat x \cdot \mathrm e^{\mathrm j (\omega \cdot t + \varphi_0)}</math>
wobei <math>x(t)</math> der reelle Wert zur Zeit <math>t</math>, <math>\underline x(t)</math> der komplexe Wert, <math>\hat x</math> die Amplitude, <math>\omega =2\pi f</math> die Kreisfrequenz, <math>f</math> die Frequenz und <math>\mathrm j</math> die imaginäre Einheit darstellen. <math>\varphi(t) =\omega \,t +\varphi_0 </math> wird als Phasenwinkel bezeichnet und <math>\varphi_0</math> als Nullphasenwinkel.<ref name="DIN 11" /><ref name="DIN 10" />
Phasenverschiebungswinkel und Phasenlaufzeit
Der Zusammenhang zwischen dem Phasenverschiebungswinkel ∆φ und der Laufzeitdifferenz ∆t ist:
- <math>\Delta \varphi = \omega \cdot \Delta t = 2 \pi \cdot f \cdot \Delta t</math>
bzw.
- <math>\Delta t = \frac{\Delta \varphi}{\omega} = \frac{\Delta \varphi}{2 \pi \,f} =\frac{\Delta \varphi}{360^\circ \,f}</math>
aufgrund der oben angegebenen Umrechnungen
- <math>\omega = 2 \pi f \ </math> und <math>2 \pi = 360^\circ </math> .
Phasenverschiebung um 180° und Phasenumkehr
oben: Originalsignal
mitte: In der Grundschwingung um 180° phasenverschobenes Signal
unten: Verpoltes Signal
Bei einer Phasenumkehr werden positive Augenblickswerte zu negativen, und negative zu positiven Augenblickswerten, wobei die Phase (Laufzeit) nicht verschoben wird.
Bei einem sinusförmigen Signal ist eine Phasenverschiebung um 180° mit einer Phasenumkehr gleichsetzbar. Bei anderen Signalformen, wie dem dargestellten Sägezahnsignal, entspricht die Phasenumkehr nicht einer Phasenverschiebung der Grundschwingung um 180°. Der Grund liegt in den dabei vorhandenen Oberschwingungen, welche unterschiedliche Phasenverschiebungen aufweisen.
Weblinks
- Phasenverschiebung φ und Laufzeitdifferenz Δ t (PDF-Datei; 178 kB)
- Rechner: Zusammenhang von Phase, Phasenwinkel, Frequenz und Laufzeit (Delay)
- Verpolung und Phasenverschiebung sind verschiedene Begriffe (PDF; 62 kB)
Einzelnachweise
<references />pl:Kąt fazowy