Gütefaktor
Der Gütefaktor, auch Güte, Kreisgüte, Filtergüte, Schwingkreisgüte, Resonanzschärfe oder Q-Faktor genannt, ist in der Technik ein Maß für die Dämpfung bzw. den Energieverlust eines zu Schwingungen fähigen Systems (z. B. eines Schwingkreises).
In einer zweiten Bedeutung ist der Gütefaktor ein Kennzeichen für den Energieverlust eines zweipoligen elektrischen Bauelementes oder Netzwerks.
Der Gütefaktor ist der Kehrwert des Verlustfaktors eines zweipoligen Bauelementes, eines Netzwerks oder eines Schwingkreises. Eine hohe Güte eines Systems besagt, dass das System schwach gedämpft ist.
Inhaltsverzeichnis
Elektrischer Schwingkreis
Definition
Der Gütefaktor <math>Q</math> eines Resonanzkreises bei einer gegebenen Frequenz wird definiert als
- <math>Q=2\pi\ \frac WV</math>
mit
- <math>W=\text{gespeicherte Energie zu Beginn einer Schwingungsperiode}</math>
- <math>V=\text{Energie, die innerhalb dieser Periode in thermische Energie übergeht}.</math><ref name="IEV">IEC 60050, siehe DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE: Internationales Elektrotechnisches Wörterbuch – IEV, Eintrag 151-15-46</ref>
Ein Gütefaktor von 0,5 (oder ein Dämpfungsgrad von 1 oder ein Verlustfaktor von 2) entspricht dem aperiodischen Grenzfall, bei dem es gerade keine Schwingung mehr gibt.
Reihenschaltung
In einem Reihenschwingkreis werden ein elektrischer Widerstand <math>R</math>, eine Spule der Induktivität <math>L</math> und ein Kondensator der Kapazität <math>C</math> von demselben sinusförmigen Strom <math>i</math> mit dem Effektivwert <math>I</math> und der Amplitude <math>\hat \imath=\sqrt2\;I</math> durchflossen. Die Resonanzfrequenz des idealen Schwingkreises und des realen Reihenschwingkreises beträgt
- <math>f_0 =\frac1{2\pi}\ \frac1{\sqrt{LC}}</math>.
Die Periodendauer beträgt <math>1/f_0</math>. Eingesetzt in die Definition von <math>Q</math> ergibt sich
- <math>W=\frac12 L\;\hat\imath^2</math>
- <math>V=I^2\;R\cdot \frac1{f_0}</math>
- <math>Q=2\pi\ \frac{L\,f_0}R =\frac1R\;\sqrt{\,\frac LC\,}</math>
Parallelschaltung
In Analogie dazu liegt in einem Parallelschwingkreis an <math>R, L, C</math> dieselbe sinusförmige Spannung <math>u</math> an. Beim realen Parallelschwingkreis liegt die Resonanzfrequenz <math>f_r</math> geringfügig niedriger als <math>f_0</math>. Für die Berechnung der thermische Energie, die in der Periodendauer abgegeben wird, kann der Unterschied unbeachtet bleiben.<ref name="Böhmer" />
- <math>W=\frac12 C\;\hat u^2</math>
- <math>V=\frac{U^2}R\cdot \frac1{f_0}</math>
- <math>Q=2\pi\ C\,R\,f_0 =R\;\sqrt{\,\frac CL\,}</math>
Bandbreite
Der Gütefaktor eines Resonanzkreises ist ein Maß für die Schärfe der Resonanz.<ref name="IEV" /> Diese drückt man aus durch die Bandbreite<ref name="Böhmer">Erwin Böhmer, Dietmar Ehrhardt, Wolfgang Oberschelp: Elemente der angewandten Elektronik: Kompendium für Ausbildung und Beruf. Vieweg+Teubner, 16. Auflage, 2010, S. 69</ref>
- <math>B =f_2-f_1= \frac{f_0}Q</math> .
Die obere Grenzfrequenz <math>f_2</math> und die untere Grenzfrequenz <math>f_1</math> sind diejenigen Frequenzen, bei denen die Spannung <math>\hat u</math> bzw. der Strom <math>\hat\imath</math> auf den <math>\frac1{\sqrt2} \approx 0{,}707</math>-fachen Wert des Maximalwertes zurückgehen. An dieser Stelle ist die Leistung im Schwingkreis nur noch halb so groß wie bei der Resonanzfrequenz des verlustlosen Schwingkreises. Bei Darstellung des Pegels in Abhängigkeit von der Frequenz ist die Bandbreite gleich dem Frequenzbereich, an dessen Grenzen die Leistungswurzelgröße um 3 dB abnimmt. Die Grenzfrequenzen können berechnet werden aus
- <math>f_1 = \frac{ \sqrt{R^2 + 4\frac LC} - R}{4 \pi L}</math> und <math>f_2 = \frac{\sqrt{R^2 + 4\frac LC} + R}{4 \pi L}</math>.
Sie sind mit der Resonanzfrequenz des idealen Schwingkreises verbunden durch
- <math>f_0 = \sqrt{f_1\,f_2}</math>.
Mechanischer Schwingkreis
In der Mechanik geht man bei einem Federpendel (Masse-Feder-System) aus von den Differenzialgleichungen
- <math>m \ddot x + d \dot x + k x = 0 \qquad\text{oder}\qquad \ddot x + 2 D\omega_0 \dot x + \omega_0^2 x = 0</math>.
mit der Auslenkung <math>x</math> aus der Ruhelage, der Masse <math>m</math>, der vorzugsweise durch Reibung bestimmten Dämpfungskonstanten <math>d</math>, der Federkonstanten <math>k</math>, dem Dämpfungsgrad <math>D</math> und der Eigenkreisfrequenz <math>\omega_0= \sqrt{k/m}</math> des ungedämpften Systems.
Darin wird der Gütefaktor <math>Q</math> definiert als:<ref>Hans Dresig, Alexander Fidlin: Schwingungen mechanischer Antriebssysteme: Modellbildung, Berechnung, Analyse, Synthese. Springer–Vieweg; 3. Auflage, 2014, S. 237</ref>
- <math>Q =\frac1{2D}= \omega_0\;\frac md =\frac{\sqrt{m\cdot k}}d</math>
Elektrisches Bauelement
Der Gütefaktor <math>Q</math> eines linearen abstrahlungsfreien zweipoligen Netzwerkelementes oder Netzwerkes bei sinusförmigen Vorgängen wird definiert als das Verhältnis der Beträge von Blindleistung <math>P_B</math> und Wirkleistung <math>P_W</math> oder gleichwertig als das Verhältnis der Beträge von Blindwiderstand <math>X</math> und Wirkwiderstand <math>R</math>.<ref name="IEV2">IEV, Eintrag 151-15-45</ref>
- <math>Q= \frac{|P_B|}{P_W}= \frac{|X|}R</math> .
Der Gütefaktor ist ein Maß für – gewöhnlich unerwünschte – Verluste, insbesondere in einem Kondensator oder einer Spule.<ref name="IEV2" /> Beispielsweise ist die Spulengüte
- <math>Q_L= \frac{2\pi f\,L}R</math> .
Diese Gleichung ähnlich der entsprechenden Gleichung beim Reihenschwingkreis, gilt aber für beliebige Frequenz <math>f</math> und nicht bei einer (gar nicht vorhandenen) Resonanzfrequenz <math>f_0</math>. Eine hohe Spulengüte in einem Schwingkreis beeinflusst nicht dessen Resonanzfrequenz, aber die Bandbreite.
Der Kehrwert des Gütefaktors ist der Verlustfaktor<ref>IEV, Eintrag 151-15-47</ref> und bei Netzwerk(element)en auch der Tangens des Verlustwinkels.<ref>IEV, Eintrag 151-15-48</ref>
Beispiele
In der folgenden Tabelle sind einige Größenordnungen von Gütefaktoren bei verschiedenen schwingenden Systemen angegeben.
System | Gütefaktor Q |
---|---|
Aperiodischer Grenzfall | <math>0{,}5</math> |
Elektrodynamischer Lautsprecher | typ. <math>0{,}2 \, \ldots \, 1{,}2</math> |
Elektrischer Schwingkreis | <math>10^2</math> |
Pendeluhr | <math>10^4</math> |
Schwingungstilger | <math>10^5</math> |
Schwingquarz 10 MHz | <math>(3 \,\ldots \, 10) \cdot 10^5</math> |
Frequenzstabilisierter Laser | <math>10^9</math> |
Supraleitender Hohlraumresonator | <math>10^9 \, \ldots \, 10^{11}</math> |
Cäsium-Atomuhr | <math>10^{13}</math> |
Mößbauer-Effekt bei Gammastrahlung | <math>10^{15}</math> |
Weblinks
- Umrechnung: 'Bandbreite in Oktaven' N in Gütefaktor Q und Gütefaktor Q in 'Bandbreite in Oktaven' N
- Q-Faktor und Mittenfrequenz - Finde die Grenzfrequenzen (Bandbreite)
- Gütefaktor Q in 'Bandbreite in Oktaven' N - und zurück - Excel
Literatur
- Bernd Girod, Rudolf Rabenstein, Alexander Stenger: Einführung in die Systemtheorie. 4. Auflage. Teubner, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-8351-0176-0.
Einzelnachweise
<references />