Béla Balázs


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Béla Balázs ie Physiognomik (Lavater, der junge Goethe)“ als Grundlage von Balázs’ Physiognomik.<ref>Helmut H. Diederichs: Einleitung. In: Béla Balázs: Schriften zum Film. Band 1: „Der sichtbare Mensch“. Kritiken und Aufsätze 1922–1926. Hanser, München 1982, ISBN 3-446-12870-0, S. 36.</ref>

Sabine Hake identifiziert Quellen seines Gedankenguts in Lebensphilosophie und Gestaltpsychologie.<ref>Sabine Hake: The Cinema’s Third Machine. Writing on Film in Germany 1907–1933. University of Nebraska Press, Lincoln NE u. a. 1993, ISBN 0-8032-2365-X, S. 230 f.</ref> Eine allgegenwärtige Lebensbewegung und die abstrahierte und abstrahierbare Gestalt des Lebendigen sind weitere physiognomische Aspekte, die diese Filmtheorie mitbegründen. Andererseits also – und dies ist Balázs’ genuiner Beitrag zur frühen Theoriebildung des bewegten Bildes – betont er die Anthropomorphisierung alles Sichtbaren in der filmischen Inszenierung. Er nennt dies die „latente Physiognomie“ und das „Gesicht der Dinge“.<ref>Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1536). Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenössischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kästner. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-29136-X, S. 59.</ref> Hanno Loewy bemerkt hierzu, dass auf Seiten des Zuschauers „sich die psychische Besetzung ununterschieden auf die gesamte wahrgenommene Szene und damit auch unterschiedslos auf Dinge und Wesen, die in ihr auftreten“,<ref>Hanno Loewy: Béla Balázs – Märchen, Ritual und Film. 2003, S. 295.</ref> beziehe. Daniel Hermsdorf resümiert Balázs’ Konzeption dahingehend, dass Balázs Begriffe, „– wenn überhaupt gekennzeichnet in ihrer diskursiven Herkunft, dann gar nicht oder eher sorglos reflektiert – in ein prekäres ideologisches Feld der physiognomischen Theorien zurückverweisen“.<ref>Daniel Hermsdorf: Filmbild und Körperwelt. 2011, S. 336.</ref> Filmästhetik bewegt sich in dieser Hinsicht zudem zwischen einer spielerischen Vermenschlichung und einem psychopathologischen Wahrnehmungsmodus, wie ihn in der Fachliteratur erstmals Karl Jaspers in „Allgemeine Psychopathologie“ (1913) differenziert analysiert – als „Affektillusion“ und „Pareidolie“.<ref>Karl Jaspers: Allgemeine Psychopathologie. Für Studierende, Ärzte und Psychologen. 2., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin 1920, S. 41. Vgl. dazu auch Daniel Hermsdorf: Filmbild und Körperwelt. 2011, S. 562 f.</ref>

Balázs selbst nennt die anthropomorphe Bildwirkung „transzendent und gespenstisch“.<ref>Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1536). Mit einem Nachwort von Helmut H. Diederichs und zeitgenössischen Rezensionen von Robert Musil, Andor Kraszna-Krausz, Siegfried Kracauer und Erich Kästner. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-29136-X, S. 73.</ref> Bei Balázs’ Freund Lukács heißt es – ein Jahr vor Balázs’ Veröffentlichung Der sichtbare Mensch – in marxistischer Perspektive auf die kapitalistische Wirtschaft, sie verursache die „Verwandlung der Warenbeziehung in ein Ding von ‚gespenstiger Gegenständlichkeit‘“, die „dem ganzen Bewußtsein des Menschen ihre Struktur“ aufdrücke.<ref>Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik (= Sammlung Luchterhand. Bd. 11). Sonderausgabe, 3. Auflage. Luchterhand, Darmstadt u. a. 1975, ISBN 3-472-61011-5, S. 194.</ref> Hermsdorf kommt deshalb zu dem Schluss, Balázs Filmtheorie sei „ein aus den Begriffen seiner Zeit geschnitzter Fetisch, der unter literarischer Politur einer inversen logischen Strategie marxistischer Kritik des Tauschwerts und anschlussfähiger Kulturtheorien folgt.“<ref>Daniel Hermsdorf: Filmbild und Körperwelt. 2011, S. 337.</ref>

Bei tendenziell gegensätzlichen Lesarten und Bewertungen wird Balázs bis heute Respekt gezollt. Thomas Koebner sieht in Der sichtbare Mensch mit seinem „Ineinander von Enthusiasmus und Scharfblick die erste anspruchsvolle und ausführliche Würdigung des Films als neuer Kunst […]. Die Thesen von Balázs finden sich in fast allen später publizierten Studien (zu deren Vorteil) wieder.“<ref>Thomas Koebner: Der Film als neue Kunst – Reaktionen der literarischen Intelligenz. Zur Theorie des Stummfilms (1911–24). In: Helmut Kreuzer (Hrsg.): Literaturwissenschaft – Medienwissenschaft (= Medium Literatur. Bd. 6). Quelle & Meyer, Heidelberg 1977, ISBN 3-494-00889-2, S. 1–31, hier S. 6.</ref>

Schriften

  • Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Deutsch-Österreichischer Verlag, Wien u. a. 1924 (mehrere Neuausgaben).
  • Der Geist des Films. Knapp, Halle (Saale) 1930 (mehrere Neuausgaben).
  • Die Jugend eines Träumers. Globus-Verlag, Wien 1947 (Neuausgabe: Die Jugend eines Träumers. Autobiographischer Roman (= Béla Balázs: Ausgewählte literarische Werke in Einzelausgaben. Bd. 1). Herausgegeben von Hanno Loewy. Verlag Das Arsenal, Berlin 2001, ISBN 3-931109-19-4).
  • Ein Baedeker der Seele. Und andere Feuilletons aus den Jahren 1920–1926 (= Béla Balázs: Ausgewählte literarische Werke in Einzelausgaben. Bd. 2). Herausgegeben von Hanno Loewy. Verlag Das Arsenal, Berlin 2002, ISBN 3-931109-30-5).
  • Die Geschichte von der Logodygasse, vom Frühling, vom Tod und von der Ferne. Novellen (= Béla Balázs: Ausgewählte literarische Werke in Einzelausgaben. Bd. 3). Herausgegeben von Hanno Loewy. Verlag Das Arsenal, Berlin 2003, ISBN 3-931109-31-3).
  • Der heilige Räuber und andere Märchen (= Béla Balázs: Ausgewählte literarische Werke in Einzelausgaben. Bd. 4). Herausgegeben von Hanno Loewy. Verlag Das Arsenal, Berlin 2005, ISBN 3-931109-37-2).
  • Der Sieger. Das Märchen vom Bären, vom Wolf und vom schlauen Fuchs. In: Bernd Dolle, Dieter Richter, Jack Zipes (Hrsg.): „Es wird einmal …“ Soziale Märchen der Zwanziger Jahre (= Sammlung alter Kinderbücher. Bd. 8). Weismann, München 1983, ISBN 3-921040-29-9, S. 7–16.

Literatur

  • Balázs, Béla. In: Lexikon sozialistischer deutscher Literatur. Von den Anfängen bis 1945. Monographisch-biographische Darstellungen. 2 Auflage. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1964, S. 78–80.
  • Helmut H. Diederichs: Béla Balázs und sein Beitrag zur formästhetischen Filmtheorie. Vortrag am 20. November 1997 in Berlin (fh-dortmund.de).
  • Daniel Hermsdorf: Filmbild und Körperwelt. Anthropomorphismus in Naturphilosophie, Ästhetik und Medientheorie der Moderne (= Film – Medium – Diskurs. Bd. 34). Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, ISBN 978-3-8260-4462-5 (Zugleich: Paderborn, Universität, Dissertation, 2010).
  • Thomas Koebner: Der Film als neue Kunst – Reaktionen der literarischen Intelligenz. Zur Theorie des Stummfilms (1911–24). In: Helmut Kreuzer (Hrsg.): Literaturwissenschaft – Medienwissenschaft (= Medium Literatur. Bd. 6). Quelle & Meyer, Heidelberg 1977, ISBN 3-494-00889-2, S. 1–31.
  • Hanno Loewy: Béla Balázs – Märchen, Ritual und Film. Vorwerk 8, Berlin 2003, ISBN 3-930916-53-3 (Zugleich: Konstanz, Universität, Dissertation, 1999: Medium und Initiation – Béla Balázs: Märchen, Ästhetik, Kino. d-nb.info).
  • Renate Heuer (Hrsg.): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Band 1, München : Saur 1992, S. 316–324

Weblinks

Commons Commons: Béla Balázs – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

<references />